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Montag, 12. Oktober 2015

Baudarlehn - Bankenlobby will "Widerrufsjoker" aus dem Verkehr ziehen

von Reiner Reichel 

Ein Gesetz soll das Kündigen von Baudarlehen wegen falscher Widerrufsbelehrung einschränken. Verbrauchern würde dadurch die Chance auf riesige Einsparungen genommen. Anwälte vermuten die Bankenlobby hinter dem Plan.

Köln: Ein knappes Jahr ist es her, dass die Verbraucherzentrale Bremen mit einer Sensation herauskam: Weit mehr als die Hälfte der Widerrufsbelehrungen in Baudarlehensverträgen ist falsch. Die Konsequenz: Der Kunde kann jederzeit den Vertrag widerrufen. Und zwar selbst dann, wenn der Vertrag bereits abgewickelt wurde, etwa weil der Kredit bereits getilgt wurde oder zur Beendigung des Vertrages eine Vorfälligkeitsentschädigung an die Bank gezahlt wurde. Der Darlehensnehmer ist also nicht an die 14-tägige Widerrufsfrist gebunden, und muss auch keine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen. Der „Widerrufsjoker“ war geboren. Er betrifft Verträge, die zwischen dem 2. November 2002 und 2010 geschlossen wurden.

Sofort fingen die Banken an zu jammern. Denn wer wegen des Widerrufsjokers seinen Altvertrag loswurde, nahm einen neuen Kredit zu wesentlich niedrigeren Zinsen auf. Die Banken argumentieren an dieser Stelle, zurückfließende Gelder aus teuer refinanzierten Altverträgen müssten sie nun billiger verleihen. „Existenzbedrohend“ sei das, klagten einige gegenüber Anwälten, eine Milliarde Euro Schaden wurde hochgerechnet und Mitglieder von Genossenschaftsbanken, die den Widerrufsjoker zogen, mussten sich anhören, sie verhielten sich unsolidarisch gegenüber ihren Mitgenossen.

Doch obwohl noch niemand weiß, wieviel Geld Deutschlands Banken wegen der nachträglichen Kündigungen entgeht, scheint die Bankenlobby bereits erfolgreich zu sein. So empfingen jeweils Verbraucheranwälte wie die Kanzleien Baum Reiter & Collegen, ihr Kooperationspartner Gansel Rechtsanwälte und die Kanzlei Göddecke, eine Gesetzesinitiative, die den Widerrufsjoker aushebeln soll. „Dieses Gesetzesvorhaben ist ein einziger Kniefall vor der Bankenlobby“, schimpft Mathias Corzelius, Bankrechtler bei Göddecke in Siegburg. „Das ist eine ganz bewusste Schädigung der Verbraucherinteressen“, wettert der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter.

Gemeint ist ein Nachtrag im Gesetzentwurf 18/5922 zur Umsetzung der Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie der Europäischen Union. Das Gesetz soll das Immobilienkreditrecht vereinfachen. Soweit den Anwälten ein noch nicht veröffentlichtes internen Papier der Regierung bekannt ist, ist geplant, das Widerrufsecht für Immobilienkreditverträge automatisch nach einem Jahr und 14 Tagen erlöschen zu lassen – und zwar unabhängig davon, ob das Kreditinstitut ordnungsgemäß über die Widerrufsmöglichkeit belehrt hat. Darüber hinaus soll nach Informationen von Reiter die Widerrufbarkeit von Altverträgen am 21. Juni 2016 enden. Die neuen Vorschläge sollen in der nächsten Woche und somit vor der zweiten Lesung des Gesetzes im Finanzausschuss diskutiert werden. Das Gesetz könnte noch in diesem Jahr verabschiedet werden.

Die Kooperationspartner Reiter und Timo Gansel sehen einen Verstoß gegen Europarecht, sofern darin die Widerrufsmöglichkeit in der Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie eingeschränkt werden sollte. Darüber hinaus erachten sie die Einschränkung des Widerrufsrechts als vollkommen unnötig. Bereits jetzt könnten die Banken ihre Widerrufsbelehrungen jederzeit nachbessern. Sie vermuten, dass die Banken dies unterlassen, um nicht auf alte Fehler aufmerksam zu machen. Für Reiter steht fest: „Die Banken sind überhaupt nicht schutzbedürftig.“

Verbraucher scheuen Prozessrisiken


Er und sein Berliner Kollege Timo Gansel, die mit der Hauseigentümervereinigung Haus & Grund kooperieren, empfehlen den Verbrauchern, das Widerrufsrecht rechtzeitig zu nutzen. Gansel verweist ausdrücklich darauf, dass dies bei beendeten Verträgen „kein Risiko“ berge. Denn: Akzeptiert eine Bank den Widerruf, muss der Kunde binnen 30 Tagen das Darlehen zurückzahlen. Wobei er die Gefahr, dass dies misslingt, ebenfalls als gering ansieht.
Behauptungen von Banken, wer den Widerrufsjoker ziehe, finde kein neues Institut, dass die Finanzierung übernehme, sind aus Sicht der Anwälte Stimmungsmache der Banken. Ihre Klienten hätten immer rechtzeitig eine neue Bank gefunden, berichten Gansel und Reiter. Bei beendeten Verträgen bestehe kein Zeitdruck. Der Kunde könne beispielsweise die Rückzahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung verlangen oder ein sogenannte
„Nutzungsentgelt“, weil die Bank an seiner statt mit seinem Geld gewinnbringend arbeiten konnte.
Wie es nun aussieht, ist der Widerrufjoker weit weniger dramatisch für die Banken als bisher angenommen. Denn die Zahl der Widerrufe bewege sich im Promillebereich, räumten die Anwälte ein. Offensichtlich scheuten die Verbraucher Prozessrisiken.

Haus & Grund, Verband der privaten Wohnungseigentümer, geht davon aus, dass mehr als zehn Millionen Immobiliendarlehensverträge zwischen Ende 2002 und 2010 abgeschlossen wurden. Die Stiftung Warentest schätzt die Darlehenssumme aller in dieser Zeit von Verbrauchern unterschrieben Baudarlehen auf 1,6 Billionen Euro. Nach Erfahrungen der Verbraucherzentralen sind zwischen 60 und 90 Prozent der Widerrufsbelehrungen in diesen Verträgen falsch.

Die Banken könne man in drei Kategorien einteilen, sagen die Anwälte: solche die sich grundsätzlich verklagen ließen und damit Kunden vor dem entscheidenden Schritt abschrecken, solche, die grundsätzlich kompromissbereit seien und solche, die von Fall zu Fall entschieden, sich also sowohl mit dem Kunden verglichen, als auch sich verklagen ließen. „Gefühlt entfällt auf jede Gruppe ein Drittel“, sagt Gansel.
Die kooperierenden Anwälte sind nach eigenen Angaben an schnellen wirtschaftlichen Lösungen interessiert. Um die 90 Prozent der Widerrufe nach Ablauf der Frist würden verglichen, sagen sie. Die Urteile bewegten sich im niedrigen zweistelligen Bereich, wobei man zwei verloren habe. Die Vergleichsquoten lägen bei 50 bis 70 Prozent, wobei die höhere Quote eher mit Vergleichen vor Gericht erzielt werde. Das heißt konkret, dass die Institute nur die Hälfte beziehungsweise 30 Prozent der Vorfälligkeitsentschädigung in Rechnung stellen. Sogenannte „Nutzungsentgelte“, die den Bankkunden für gezahlte Raten zustünden, seien außergerichtlich so gut wie nie durchsetzbar.


Je länger die Zahlung zurückliegt, desto höher die Entschädigung


Neben dem Verzicht auf eine Vorfälligkeitsentschädigung kann der Bankkunde mit dem Widerruf auch fünf Prozent Zinsen für jede Rate ab Zahlungszeitpunkt bis zum Widerruf als Nutzungsentgelt verlangen. Daraus ergibt sich: Je länger die Zahlung zurückliegt, desto höher die Entschädigung. Bisher enden die Verfahren vor den Oberlandesgerichten. Höchstrichterliche Urteile wollten die Kreditinstitute nicht riskieren, sagen sie.

Für Kunden, die über die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung verfügen, ist das Kostenrisiko gering. Sie riskieren eine Selbstbeteiligung, sofern ihr Vertrag diese vorsieht. Im Falle eines Vergleichs kann es vorkommen, dass der Versicherer einen Teil der Einigungsgebühr nicht übernehmen will. Allerdings verweigern Versicherer Deckungszusagen, wenn ein Neubau finanziert wurde oder die zum Zeitpunkt der Unterschrift unter den Darlehensvertrag noch keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen war.
Für nicht rechtsschutzversicherte Mandanten haben Gansel und Baum Reiter folgendes Vergütungsmodell entwickelt. Geltendmachung des Widerrufs kostet eine Monatsannuität (Monatsrate), im Erfolgsfall werden zwischen drei und sechs Raten zusätzlich berechnet.
Dass es den Widerrufsjoker überhaupt gibt, ist darauf zurückzuführen, dass Verbraucherschützer nach einer Möglichkeit suchten, Bankkunden die hohen Entschädigungsforderungen bei der vorzeitigen Kündigung von Baudarlehen zu ersparen. Dabei fand der Bremer Verbraucherschützer Christian Schmid-Burgk fehlerhafte Formulierungen in den Widerrufsbelehrungen. Nun spielen Vorfälligkeitsentschädigungen eine wichtige Rolle in der Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie.

Die Regeln dafür sollen vereinfacht werden. Das deutsche Berechnungsmodell wird von Anwälten als kompliziert und intransparent kritisiert. Reiter zufolge sind Vorfälligkeitsentschädigungen nirgendwo in Europa so hoch wie in Deutschland, wo sie rund zwölf Prozent betrügen, gegenüber einem Prozent in Portugal und drei Prozent in den Beneluxländern.

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